in: LITLOG, Göttinger eMagazin für Literatur, Kultur, Wissenschaft, Juli 12, 2012

  

»freisetzung des ich insz offne«

Susanne Eules ist eine Wanderin zwischen den Welten. 1960 in Miltenberg am Main geboren, lebt die promovierte Kunsthistorikerin und Volkskundlerin seit vielen Jahren in DeLand, Florida, nur die Sommermonate verbringt sie regelmäßig in ihrer alten Heimat. Ihrem lyrischen Debüt ůbern růckn des atlantiks den rand des nachmittags, das kürzlich im Hamburger Verlag Fixpoetry erschienen ist, sind diese Reisewege und Wechselspuren eingeschrieben – inhaltlich-thematisch ebenso wie formal.

Von Anna Ertel

Auffällig sind zunächst Orthographie und Notationsweise. Anstelle der deutschen Umlaute finden sich diakritische Zeichen, wie sie vor allem aus den skandinavischen Sprachen bekannt sind – Schrägstrich (ø) und Kreisakzent (å, ů) –, hinzu kommen das seltenere Trema (schneÿn, wÿndt spÿl) und andere altertümelnde Schreibweisen (ewigk, auff), darunter auch die an Friederike Mayröcker erinnernde Schreibweise sz (wasz, weisz). Und zu Mayröcker, deren sprachexperimentelle Lyrik auch für andere Gegenwartslyrikerinnen und -lyriker stilbildend geworden ist, gesellen sich weitere Stimmen und Figuren aus der Literaturgeschichte, darunter Goethe, Hölderlin und Brecht als Vertreter einer männlichen, Emily Dickinson und Sylvia Plath als Vertreterinnen einer weiblichen Linie.


Susanne Eules
ůbern růckn des atlantiks den rand des nachmittags.
Gedichte.
Artwork: Korinna Feierabend
98 Seiten, 15€

 


Vor der Auseinandersetzung mit der literarischen Tradition steht jedoch die Auseinandersetzung mit dem Anderen in Gestalt eines (fremden) Sprach-, Natur- und Kulturraums. Die Verse »allesz außzerm inszistierenden himmel / iszt ne fremdtsprache« sind programmatisch. Die Muttersprache, Deutsch, wird in Susanne Eules’ Gedichten nicht nur von englischen und anderen fremdsprachigen Versatzstücken unterwandert, sondern durch die ungewöhnliche Notation scheinbar selbst zur Fremdsprache. Zu den Verfremdungstechniken gehört auch die Fragmentierung von Wörtern, die sich nicht an Silbengrenzen orientiert, sondern einer semantisch begründeten Eigenlogik folgt und mit Klangähnlichkeiten spielt. Erlaubt ist, was assoziativ zündet. Der amerikanische Traum verwandelt sich auf diese Weise in »a.merry.can dream«, der »atl.antik« fördert Antikes zutage, und im Schreiben wird nicht nur der Schrei, sondern auch die Reibung, das Sich-Reiben am Text, an den Worten, die Reibung der Worte aneinander, erkennbar. Das Freilegen der unter den Wortoberflächen liegenden Bedeutungen durch Isolierung von Lautfolgen und Semen ist dabei keineswegs beliebig (oder bloße Spielerei – das auch!), sondern trägt mitunter wesentlich zur Gedichtaussage bei: In dem Gedicht »sesenheimer idylle« etwa werden die Lautfolge »er« und das damit assoziierte Personalpronomen konsequent isoliert, so dass die Verse um den scheinbar omnipräsenten Stürmer und Dränger Goethe kreisen, dessen Angebetete (Friederike Brion) hingegen dem Vergessen anheimzufallen beginnt: »d.er name d.er p.er.le in d.er kette / sein.er f.raun wird spåt.er ihm entfalln sein«.

        Über Sinn und Zweck solcher Techniken und anderer Verfremdungselemente, die zum artifiziellen Charakter der Texte beitragen, lässt sich im Einzelfall wohl streiten. Manchem mag es zu viel des Guten sein, zu nah an der ‚Masche‘. Dabei ist es aber vor allem eins: ein genaues Hinsehen und Hinweisen auf Sprache. Und dieser Blick ist durch Zweisprachigkeit geschult, ja geschärft; das Andere und Fremde wird im Eigenen und Bekannten stets mitgedacht.

       Die leitmotivische Fremdheit geht nicht nur von der Sprache aus, sondern immer wieder auch von Landschaften. Im ersten, mit dem Zitat »there was simply the other world’s arrival into my world« überschriebenen Teil der Sammlung sind dies vor allem amerikanische Landschaften, im zweiten Teil tauchen dann mit Schloss Bürgeln (im baden-württembergischen Schliengen), Freiburg, Staufen, Schauinsland, Rastatt (»raschdad«) oder Cleversulzbach Orte aus der alten Heimat auf. Die Wahrnehmung von Natur und Umwelt orientiert sich dabei hier wie dort überwiegend an den jahreszeitlichen Veränderungen von Fauna, Flora und Klima; im zweiten, dem Heimatraum gewidmeten Teil der Sammlung durchlaufen die Gedichte vom Sommer über Herbst und Winter nahezu einen gesamten Jahreszeitenzyklus. Den unterschiedlichen Wettern und Klimata, denen das Ich auf mehr oder weniger dramatische Weise (»szonnentyranneÿ«) ausgesetzt ist, sind auch eine Reihe von Gedichttiteln gewidmet – z.B. „wetterbåugn“, „wÿndt spÿl“, „eÿszeÿt“.

      Immer wieder gerät auch die Frage nach der Lesbarkeit von Natur in den Blick – und wird unterschiedlich beantwortet: »die landtschaft wird fremdt & frembder, selbst / die flugschrift der kråhn bleÿbt unsz vorbehaltn«, heißt es einmal; an anderer Stelle ist von der Lesbarkeit der »schneehaut« die Rede. Eine besondere Rolle spielt in diesem Zusammenhang der Winter, er ist mit seiner Reduktion der Welt auf Strukturen, seiner Tendenz zur Abstraktion, der Reflexion besonders zuträglich. Bei Eules bezieht sich der Reflexionsprozess auf das Schreiben selbst; die Zeichenhaftigkeit der Natur wird mit dem Lesen und Schreiben enggeführt: »ist es die schneehaut / die die weiße flåche // des papiers evoziert / oder das lesen der borke«. Die weiße Winterlandschaft setzt dabei auch einen Prozess der Reinigung in Gang, der an Celans Chiffre vom ‚Atemkristall‘ erinnern mag: »ůber der leerstelle / setzt die wahrheit des schneefalls ein«.

     Im Kontext der abstrahierenden Winterlandschaft erwähnenswert sind auch die in den Band integrierten Graphiken von Korinna Feierabend, die den Texten nicht einfach neben- oder untergeordnet sind, sondern ein abstraktes Echo der in den Gedichten evozierten Landschaften und Strukturen abbilden. Die Struktur von Wasser, Gestein, Moos usw. aufnehmend, wuchern die Gebilde teilweise in die Texte hinein, sie umrahmen, spiegeln und ergänzen sie.
Während die dritte, mit »yest.er.day : the unending incomplete« überschriebene Sektion des Bandes eine Reihe von ‚Künstlergedichten‘ versammelt – u.a. zu Goethe und Christiane Vulpius, zu den Malerinnen Paula Modersohn-Becker und Frieda Kahlo und zu den Schriftstellerinnen Emily Dickinson, Sylvia Plath und Friederike Mayröcker –, schließt sich mit der vierten und letzten Sektion der thematische Kreis. Das Gedicht »de.parture« thematisiert den Abschied von der alten Heimat (der neuen Fremde) und die Rückkehr in die neue Heimat (die alte Fremde) und findet dabei ein treffendes Bild für die Doppelperspektive des lyrischen Ich: »mein / vogelaug : zwei ufer n ozean // & der flugschreiber seegelherz« – besser kann man das Schreiben in und zwischen und über zwei Welten, wie es Susanne Eules praktiziert, nicht zusammenfassen.

Autor: Anna Ertel

Veröffentlicht am 12. Juli 2012

Kategorie: Belletristik

Schlagworte: Brecht, Fixpoetry, Gegenwartsliteratur, Goethe, Lyrik, Natur

Bild von Bildbunt via flickr.

 

 

 

Anna Ertel: "The release of the I into the open", in: LITLOG, Göttinger eMagazin für Literatur, Kultur, Wissenschaft (e-magazine for literature, culture and science), July 12, 2012

 

http://www.litlog.de/%c2%bbfreisetzung-des-ich-insz-offne%c2%ab/

 

Susanne Eules is a wanderer between the worlds. Born in 1960 in Miltenberg am Main, holding a doctorate in Art History and European Ethnology, she lives since many years in DeLand, Florida. Only the summer months she regularly spends in her homeland. In her lyrical debut across the ridge of the atlantic/the edge of the afternoon, which was published recently in the Hamburg publishing house Fixpoetry, these itineraries and change tracks are written in - content wise and thematically as well as formally.

            Initially, spelling and notation method are striking. Instead of the German umlauts, diacritical marks are found, as they are known mainly from the Scandinavian languages - slash (ø) and pie accent (å, ů) - added the rarer Trema (schneÿn, wÿndt SPYL) and other historical spellings (ewigk , auff), including those reminiscent of Mayröcker's spelling sz (Wasz, weisz). And next to Mayröcker whose linguistic experimental poetry has also become influential to other present poets and lyricist, are added more voices and characters from the history of literature, including Goethe, Hölderlin and Brecht joined as representatives of a male, Emily Dickinson and Sylvia Plath as representatives of a female line.

            Before dealing with the literary tradition, however, is an examination of the Other in the form of a (foreign) language, natural and cultural space. Verses »allesz außzerm inszistierenden himmel/ iszt ne fremdtsprache" ("everything beszides an inszisting sky/isz a foreign language") are programmatic. The native language, German, is infiltrated into Susanne Eules' poems not only by English and other foreign language set pieces, but by the unusual notation apparently even to a foreign language. Among the techniques of alienation the fragmentation of words is included, not based on syllable boundaries, but as a semantically justified intrinsic logic that follows and plays with sound similarities.

            Permitted is what ignites associative. The American dream is transformed in this way into "a.merry.can dream," the "atl.antik" promotes Ancient revealed, and in the writing ("Schreiben") is not only the cry (Schrei), but also the friction and rubbing of words in the text (Reiben) recognizable.  

            Exposing the meanings underlying the word surfaces by isolating sound sequences andsemes is not any or just a game (- that too!), but bears sometimes essential to the poem's statement: in the poem "sesenheimer idyll," the sound sequence "he" and the associated personal pronoun is consistently isolated so that the verses circle around the seemingly omnipresent proponent of "Storm and Stress", Goethe, whose beloved (Friederike Brion), however, begins to fall to oblivion: »d.er name d.er p.er.le in d.er kette/sein.er f.raun wird spåt.er ihm entfalln sein« ("t.he name of t.he pearl in t.he necklace/of his wife later he' ll have forgotten").

            About the purpose of such techniques and other alienation elements that contribute to the artificial character of the texts can probably be argued in particular case. To some it may be too much of a good thing, too close to the ,stitch'. It is but one thing: an accurate inspection and references to language. And this look is trained by bilingualism, even sharpened; the other and foreign is always thought along one's own and the familiar.

            The leitmotif strangeness comes not only from the language, but repeatedly from landscapes. In the first, with the quote "there was simply the otherworld's arrival into my world" overwritten part of the collection, these are mainly American landscapes, then in the second part with the castle Bürgeln (in Baden-Württemberg Schliengen), Freiburg, Staufen, Schauinsland, Rastatt ("raschdad") or Cleversulzbach locations from the old country.

            The perception of nature and environment is oriented towards -  both here and there - mainly to the seasonal changes of fauna, flora and climate; in the second, the home space dedicated part of the collection, the poems run from summer to autumn and winter, almost an entire seasonal cycle. To the different bettors and climates, where the I is in a more or less dramatic way exposed, a number of verse titles are dedicated - eg "Wetterbåugn", "wÿndt SPYL", "eÿszeÿt".

            Time and again the question about the readability of nature comes into the view - and is variously answered, elsewhere the readability of the "snow-skin" is mentioned. In this context, the winter plays a special role, the season is especially beneficial with its reduction of the world of structures, its tendency towards abstraction, reflection. With Eules, the reflection process refers to the writing itself, its symbolism of nature is a stretto with reading and writing: "is it the snow skin/evoking the white flat/of the paper/or the reading of the bark". The white winter landscape also starts a process of purification that may remind of Celan's cipher of the "breath crystal": "Above the blank space/the truth of snowfall sets in".  

            In the context of the abstract winter landscape, it is worth mentioning Korinna Feierabend's graphic art that is not simply next or subordinated to the text but depict an abstract echo to the poems' evoked landscapes and structures. Taking up the structure of water, rocks, moss etc. the structures proliferate partly into the texts, they frame, reflect and complement them.

            While the third, with "yest.er.day : the unending incomplete" titled section of the volume, a number of artists' poems are gathered: among others Goethe und Christiane Vulpius, the artists Paula Modersohn-Becker and Frieda Kahlo and the poets Emily Dickinson, Sylvia Plath and Friederike Mayröcker, the fourth and final section concludes the thematic circle.

            The poem "de.parture" ("de" abbreviated for "Deutschland" [Germany]) deals with the leave of the old homeland (the new foreign) and the return to the new home (the old foreign) and finds an apt image for the double perspective of the lyrical I: "my bird's eye : two shores one ocean//and the flight recorder sailing heart". There is no better way to summarize the writing in, between and about two worlds as practiced by Susanne Eules.